Heiß oder kalt und wie lange auf den Genuss warten? Die Antwort lautet weder noch und sehr lange. Es geht um die Trinktemperatur von einem guten Single Malt Whisky, außerdem um den Zeitpunkt, wann man das eingegossene Glas endlich an die Lippen setzen sollte.
Die meisten wissen, dass ein guter Whisky sich langsam im Glas erwärmen sollte, bevor er seine Aromen preisgibt. Dazu stellt man ihn natürlich nicht in die Mikrowelle und auch nicht auf die Herdplatte. Wenn man den Stiel zwischen Mittelfinger und Ringfinger durchschiebt und den eigentlichen Glasbehälter mit der Hand umfasst, sollte es von alleine klappen, dass der Inhalt auf die richtige Trinktemperatur kommt. Obwohl diese Handhabung wohl bei manchem Zeitgenossen anscheinend verpönt ist. Neulich bei einem Tasting erzählte mir ein Teilnehmer, dass er sich bei einem anderen Tasting vom Veranstaltungsleiter einen derben Rüffel einfing: „So hält man kein Nosingglas, das Glas wird am Stiel angefasst und sonst nirgends!“ Was in meinen Augen vollkommener Blödsinn ist, denn es geht hier nicht um die Eleganz wie beim Eiskunstlauf oder Turnen. Beim Whisky werden keine Haltungsnoten vergeben.
Jetzt hat der Whisky seine Temperatur erreicht und die Aromen sind wahrnehmbar. Über das wie des Riechens und Probierens will ich mich hier nicht auslassen, es wird überall anders gehandhabt und jeder hat seine eigene Weisheit dazu.
Jetzt zum Thema richtiger Zeitpunkt. Wie lange warten?
Der ist natürlich schwer zu bestimmen. Aber ein Phänomen ist das Verhalten von Whisky aus Sherryfässern, besonders die fassstarken. Bei einem Tasting des Whiskyforums – schon drei, vier Jahre her – gab es als ersten einen Glentauchers, der von C&SDram abgefüllt wurde. Er war erst 6 Jahre alt und hatte „nur“ 48,9%, in der Farbe(war ungefärbt und ungefiltert) sehr dunkel. Das Reifefass war ein Sherry Puncheon. Die Reaktionen der Teilnehmer waren gemischt, von etwas jung über netter Sherrywhisky bis hin zu „erste Sahne“ war alles dabei. Etwa zwei Stunden nach dem Tasting vermeldeten zwei Teilnehmer „So, den ersten hatten wir nur geschnuppert, aber nicht getrunken. Jetzt könnt Ihr mal probieren, wie so etwas nach jetzt über vier Stunden im Glas schmeckt!“ Es war wie eine Erleuchtung, bereits in der Nase machten sich alle Facetten eines guten Sherryfasses in übersteigerter Form breit, am Gaumen gab es ein wahres Feuerwerk von Kirsche über Rosinen zu Datteln, dazu reichlich Karamelle und Milchschokolade. Was sagt uns das? Wenn man die Geduld und Zeit hat und weiß, dass man später am Abend eine bestimmte Flasche öffnet, kann der Dram bereits eingegossen und ein paar Stunden stehen gelassen werden. Man kann ja auch quer vergleichen, nichts spricht dagegen, ein zweites Glas neu zu füllen. Die Überraschung wird groß sein.
Bei torfigen Malts geringere Intensität
Ob es sich mit rauchigen Malts genauso verhält, konnte ich noch nicht feststellen. Die Rauchigkeit lässt nach ein paar Stunden im Glas nach, insgesamt wird es milder. Vielleicht liegt es bei den schwer getorften Islay Malts auch daran, dass bei einem ein paar Stunden stehenden Glas der gesamte Raum von torfigen Schwaden durchzogen ist, schwer wie Theatervorhänge. Man kennt das ja von einem Laphroaig sehr gut. Stellt man das leere(!) Glas auf die Küchenspüle, gibt es nächsten Morgen garantiert Bemerkungen, dass die ganze Wohnung danach rieche.
Bei sehr alten Abfüllungen aus einem Sherryfass gibt es den Ratschlag, das Glas 24 Stunden vorher zu befüllen. Es soll am nächsten Abend fantastisch schmecken. Dazu gebe ich aber den Rat, sich drei Gläser einzuschenken. Denn jedes Mal, wenn am gefüllten Glas vorbeiläuft, ist die Versuchung groß, schon mal zu probieren. Dann bleibt wenigstens ein Glas voll…oder auch nicht.
Zum Schluss sei gesagt: Wer jetzt ruft, dass er mit seinem Whisky machen könne, was er wolle, hat Recht. Der obige Text ist als Leitfaden gedacht, nicht als oberlehrerhafte Belehrung. Es gibt Menschen, bei denen zu jedem guten Essen eine ordentliche Portion Ketchup gehört – es sei ihnen gegönnt.
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